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Nach Hause kommen

schwere Frage (allgemeine Aufgabe) Übersicht
 

Heimat. Manche verbinden damit Regionen, Orte oder gar Länder, für andere ist es einfach das kleine Zimmer, in dem man sich "heimisch" fühlt und das man eigentlich nie wieder gegen irgendetwas tauschen möchte. Oder gar noch weniger (und womöglich deutlich mehr): "Da wo er/sie ist, bin ich zu Hause."

Wo jedoch fühlen wir uns nun wirklich wohl, so sind wir "zu Hause"? Was sind die Randbedingungen, die dafür erfüllt sein müssen? Ist das räumlich gebunden? Braucht es dafür einen Partner? Kinder? Ein Haus? Oder sind uns Dinge wie z. B. kulturelle Angebote weitaus wichtiger? Oder Kindheitserinnerungen? Oder noch ganz andere Dinge?

Mache dir mal Gedanken dazu, was für dich "zu Hause" bedeutet, wo du "ankommst", wo du dich heimisch fühlst, wo deine Heimat ist. Was gehört für dich dazu? Hast du es bereits erreicht oder arbeitest du noch daran? Arbeitest du überhaupt daran? Gehört für dich ein Partner dazu oder ist das ein Zustand, den du nur bzw. auch alleine erreichen kannst?

Da es eine schwere Frage ist, lasse dich bitte wirklich in das Thema hineinfallen und notiere nicht nur die erstbesten Gedanken, die dir in den ersten zwei Sekunden in den Kopf kamen plus den Hinweis "dazu kann ich wirklich nichts weiter sagen". Wer sich nicht mit der Aufgabe auseinander setzen möchte, kann sie blau machen.



Dauer: 10 Tage    Kamera: Nein    Für: Männer, Frauen, Paare    erstellt: 29.01.2016   
Kategorie 1: philosophisch    Kategorie 2: Wünsche/Phantasien, Selbstreflektion, Begriff-/Sachfragen, Lebensumstände   
Adultshop
gelöst  26.11.2016 10:22  


Dies ist mit Abstand die TorD-Frage, für deren Beantwortung ich mir die meiste Zeit genommen habe. Gleichzeitig die, die mit Erotik oder Sex am Wenigsten zu tun hat. Und die, die ich möglicherweise nie im Leben - für mich selbst - wirklich abschließend beantworten können werde.

Anfangs war alles so einfach: Als Kind, Jugendlicher, selbst noch als Student war "zu Hause" klar definiert. Es war der kleine Vorort von Koblenz, in dem ich aufgewachsen bin, in dessen Gemarkung meine Freunde und ich atemberaubende Abenteuer erlebten (Computerspiele gab es noch nicht), in dem meine Oma immer ein, nein zwei, offene Ohren für mich hatte. Der Ort, an dem meine beiden berufstätigen Eltern zuwenig Zeit hatten, sich davon zu überzeugen, ob ich auch brav meine Hausaufgaben gemacht hatte :-). Der Ort, in dem auch meine erste Freundin wohnte, wegen der ich Mitglied in der KaJu (katholische Jugend) wurde, nur um sie häufig sehen zu können - was sogar meine Freunde (bzw. Genossen) bei den Jusos nachvollziehen konnten.

 Zu Hause, das war aber mehr als die Menschen, die dort lebten. Es gibt Gerüche (z. B. Kernseife), die mich noch heute prompt wieder in dieses erste heimatliche Gefühl zurückversetzen. Oder das Geräusch von Kirchenglocken - mein Elternhaus grenzte an das Pfarrgelände.

Wie bereits erwähnt, selbst als Student (Uni Gießen) zog es mich in meinem klapprigen R4 immer wieder nach Hause. Und als ich jung heiratete und wir bald darauf beschlossen zu bauen, war für mich klar, dass dieses Haus in meinem Heimatort stehen sollte. Erfreulicherweise hatte meine Frau nichts dagegen. Vielleicht wäre mir meine Antwort auf diese TorD-Frage ganz leicht gefallen, wenn alles so geblieben wäre.

Doch die Ehe scheiterte nach einigen Jahren, wir verließen beide das gemeinsame Haus (verkauften es aber nicht, sondern vermieteten es) und zogen beide, natürlich getrennt, in die nahe Stadt. Meine Eltern kamen dann irgendwann ins Rentenalter und ich besuchte sie oft. Zu Hause war immer noch dort, wo es von Anfang an gewesen war. Und dieses Gefühl verstärkte sich sogar noch, weil ich mehr und mehr eine gleichberechtigte Beziehung zu meinem Vater aufbauen konnte, einem Mann, der mir als Kind immer seltsam fremd gewesen war. Wir erstellten beispielsweise gemeinsam die Planung für einige Modernisierungen und Umbauten an meinem Elternhaus, welches ich später ja einmal erben sollte (ich war Einzelkind).

 Wenn es dick kommt, dann aber richtig: Es war 2002, als innerhalb von 3 oder 4 Monaten zuerst meine fast 11-jährige Beziehung in die Binsen ging, bei meinem Vater ein übler und inoperabler Hirntumor festgestellt wurde, an dem er kurz darauf starb und ich aus einem sehr gut bezahlten Job als Geschäftsführer eines großen mittelständischen Unternehmens rausgekickt wurde. Damals stellte ich, jedenfalls für mich, fest, dass Traurigkeit eine Obergrenze kennt - wie ein Gefäß, das so gefüllt ist, das einfach kein Tropfen mehr hineinpasst. Anstatt in tiefste Depression zu verfallen, nahm ich alles um mich herum gedämpft wahr, fast wie ein Valium-Junkie (allerdings ohne Valium).

Stattdessen beschloss ich, nun mein Leben grundsätzlich zu ändern. Ich hatte eine ordentliche Abfindung von meinem früheren Arbeitgeber zur Verfügung, meine Exfrau und ich verkauften endlich unser Haus und teilten die Summe auf. Geld war also da und die Welt war groß. Es verschlug mich nach Süd-Kalifornien, wo ich auch sehr bald - der ganze Kram mit Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ging tatsächlich viel schneller als erwartet - einen Job fand (in Garden Grove OC, falls das jemandem etwas sagt). Tolles Wetter, unglaublich freundliche Leute (viele mit deutschen Wurzeln, daher wenig Vorurteile), es hätte das Paradies sein können. Hätte! War es aber nicht. 

Alles mögliche fing nach einiger Zeit an, mich zu nerven: Die oberflächliche Freundlichkeit, die Unverbindlichkeit, die Unpünktlichkeit (dabei war ich selbst nie in meinem Leben der Pünktlichste). Die häufige Wasserknappheit, das ständige Geräusch der Klimaanlagen, die Waffenvernarrtheit meiner Kollegen und Freunde (was in den USA so alles unter "Freund" subsummiert wird).

Es dauerte relativ lange, bis ich dahinter kam, dass es nicht an Kalifornien oder den Menschen dort lag. Ich war "entwurzelt", schaffte es nicht, mich dort zu Hause zu fühlen. Und ich begriff noch etwas:

Ein "Zu Hause" oder Heimat spürt man kaum, solange man es hat - es bzw. sie ist einfach da, wie die Luft, die man atmet. Erst wenn sie verloren geht, fehlt sie schmerzlich!

Nach gut zwei Jahren beschloss ich, nach Deutschland zurück zu kehren. Seltsamerweise stellte ich nach meiner Ankunft hier fest, dass sich trotzdem kein Gefühl von "wieder zu Hause angekommen" einstellen wollte. Vielleicht hatten ja die Indianer recht, als sie meinten, die Seele fliege langsamer als ein Flugzeug. Doch so lange ich auch wartete, sie holte mich nicht ein.

Das Leben musste weitergehen. Ich machte mich selbständig, arbeitete 70 oder mehr Stunden an 6 Tagen pro Woche, nahm mir in den warmen Monaten jede zweite Woche vor, einen kurzen Abstecher nach Holland zu machen, wo mein kleines Segelboot auf mich wartete und verschob diese Kurzurlaube immer wieder. Ich stellte Mitarbeiter ein, nur eine knappe Handvoll - mehr Personalverantwortung wollte ich nicht übernehmen (das ist bis heute so geblieben). Abwechslung in mein Leben brachten einige, meist flüchtige, amouröse Episoden. Und, nicht zu vergessen, mein Hund, denn ein Leben ohne Hund ist zwar möglich, aber sinnlos (kleine Abwandlung eines Zitats von Loriot).

Nach knapp 3 Jahren war es dann soweit: Ich konnte mit gutem Gefühl meine Minifirma in die Hände der Mitarbeiter geben und mich für 2 Wochen ausklinken. Zwei Wochen! Ich fühlte mich wie ein Vogel, dessen Käfigtür plötzlich offen steht. Ich verabredete mich mit einigen holländischen Verwandten (oops, hab noch gar nicht erwähnt, dass meine Mutter Holländerin aus Katwijk aan Zee ist) für ein Treffen auf der Insel Texel, vergewisserte mich im Jachthafen am Ijsselmeer, dass mein Boot (gegen gutes Geld) in tadellosem Zustand gehalten worden war, packte meinen Krempel plus Hund ins Auto und fuhr los.

Und dann erwischte es mich.

Irgendwo auf der Autobahn zwischen Apeldoorn und Zwolle kam mir plötzlich ein Satz in den Sinn. Ein ziemlich banaler Satz, den ich vielleicht aus einem Schlager kannte: "Heimat ist dort, wo mein Herz ist". Banal - egal! Es stimmte! Ich bekam richtiges Herzklopfen, der bevorstehende Urlaub wurde plötzlich zu einem fast mystischen Ereignis. Natürlich berichtete ich sofort meinem Hund, was mir gerade widerfahren war - er schien allerdings nicht sonderlich beeindruckt. Ich dagegen umso mehr. Nie haben mich die Mitarbeiter des Jachthafens so aufgekratzt erlebt, wie an diesem Tag, nie zuvor war der "halve Duitse" so herzlich und dankbar gewesen.

Diese Stimmung war nicht flüchtig. Sie begleitete mich nicht nur durch den Urlaub, sondern sie gilt bis heute. Es ist nicht das Land, es sind nicht die Menschen - mein Herz entscheidet, wo ich zu Hause bin! 

Darum lautet heute meine Antwort auf diese TorD-Frage: Zu Hause angekommen bin ich, wenn mein Herz auf dem Weg dorthin schneller, und nach der Ankunft etwas langsamer schlägt, als normal.